„Menschen brauchen Märchen“ Der ehemalige Talking-Heads-Frontmann David Byrne hat das Schicksal der Diktatorengattin Imelda Marcos als Pop-Oper vertont. Mit ihren Schuhen will er allerdings nichts zu tun haben, wie der in New York lebende Musiker im Interview verrät. Grammy-Preisträger David Byrne hat in seinen Projekten schon oft Kunst, Film und Musik zusammengeführt. Für den Soundtrack zu „Der letzte Kaiser“ wurde ihm 1988 sogar der Oscar verliehen. Nun veröffentlicht er zusammen mit Dance-Mogul Fatboy Slim sein wohl ambitioniertestes Werk: Auf seinem neuen Doppelalbum „Here Lies Love“ erzählt der ehemalige Sänger der Kultband Talking Heads die Geschichte der philippinischen Ex-First-Lady Imelda Marcos und ihrer früheren Nanny Estrella Cumpas. Fünf Jahre hat Byrne an seinem neuen Werk gearbeitet und der Stoff gibt einiges her: Imelda Marcos wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Erst wurde sie Schönheitskönigin, dann die Ehefrau von Ferdinand Marcos, dem zehnten Präsidenten der Philippinen, mit dem sie bis zu seinem Tode 1989 verheiratet war. Als das Regime 1986 gestürzt wurde und die Familie ins Exil nach Hawaii flüchtete, offenbarte sich ihre Verschwendungssucht. Bis zu 30 Millionen Dollar soll das Präsidentenpaar auf Schweizer Bankkonten beiseitegeschafft haben. Imelda machte außerdem mit ihrer Schuhsucht Schlagzeilen: 3000 Paar hat man angeblich in ihrem Palast gefunden. Für die Umsetzung der schicksalhaften Geschichte engagierte Byrne 22 Gastsänger, die Rollen bekamen wie im Theater. Mit den Stimmen von Tori Amos, Martha Wainwright, Cyndi Lauper, Róisín Murphy, Natalie Merchant, Santigold, Florence Welch sowie Steve Earle entstand so ein wunderschönes Popalbum. Eine zusätzliche DVD und ein 100-seitiges Buch machen das Ganze zum multimedialen Projekt, das irgendwann auch im Theater aufgeführt werden soll. Im Interview erzählt der 57-Jährige, was ihn an der Mächtigen mit dem Schuhtick so faszinierte. FOCUS Online: Mr. Byrne, „Here Lies Love“ ist ein sonderbarer Titel für eine Geschichte, die eher wenig von Liebe handelt. David Byrne: Darin liegt die Ironie! Imelda Marcos sagte einmal, dass sie sich diese Worte für ihren Grabstein wünsche. Als ich das las, befand ich sofort, dass es der perfekte Titel für diese Arbeit wäre. Ich erzähle darin auch die Geschichte der Liebe zweier Frauen, die verloren ging. Da ist einerseits die enttäuschte Liebe von Imelda Marcos zu ihren philippinischen Landsleuten, andererseits die Liebe ihrer einstigen Nanny Estrella Cumpas zu ihr, die sie zurückweist. Die Doppeldeutigkeit gefiel mir. FOCUS Online: Was hat Sie an Imelda Marcos so sehr fasziniert, dass Sie sie zur Protagonistin machten? Byrne: Als ich herausfand, dass Imelda in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern gerne in Clubs wie dem „Studio 54“ tanzen ging, sie eine Discokugel in ihrem New Yorker Haus hatte und es liebte zu singen, dachte ich: Diese Verbindung zwischen der Musik und der lebenden Person ist wie ein Geschenk! Ich recherchierte also weiter, um zu sehen, ob da eine Geschichte ist. FOCUS Online: Dabei sind Sie auf das Kindermädchen Estrella Cumpas gestoßen? Byrne: Obwohl einige Philippiner behaupten, Estrella sei nur Fiktion, taucht sie in vielen Biografien auf. Es wird von einem Zeitungsinterview berichtet, in dem Estrella über ihr Leben mit Imelda auspackte, als diese noch ein Kind war. Imeldas Familie hatte zwar einen angesehenen Namen, aber sie lebte in armen Verhältnissen. Nach ihrer Hochzeit mit Ferdinand Marcos hat sie das immer verleugnet. Sich das alles auszudenken, erschien mir zu viel. Ich glaube an die Erzählungen von Estrella. Es gibt aber eine zweite Stelle in der Geschichte, wo ich mir nicht ganz sicher sein kann, ob sie glaubhaft ist. FOCUS Online: Nämlich? Byrne: In einem Buch heißt es, dass sie als junge Frau mit dem späteren Oppositionsführer Benigno Aquino ausgegangen sein soll, der sie aber sitzen ließ, weil sie so groß war. Groß war sie tatsächlich, speziell mit ihren aufgetürmten Haaren, Ferdinand Marcos trug deshalb immer hohe Absätze. Aquinos Ermordung, an der wohl auch Imelda nicht ganz unbeteiligt war, führte letztendlich zum Kollaps des Marcos-Regimes. Aber dass sie mit ihm zuvor eine Affäre gehabt haben soll, wäre fast zu gut, um wahr zu sein. Der Sache möchte ich noch mal tiefer auf den Grund gehen. FOCUS Online: Was definitiv Ihrer Fantasie zuzuschreiben ist, ist die Zusammenführung von Imelda und Estrella am Schluss des Albums – dargeboten in einem Duett von Cyndi Lauper und Tori Amos. Byrne: Ja, das ist das Tolle, dass man so etwas in der Musik oder auf der Bühne machen kann. Real sind die zwei natürlich nicht mehr zusammengekommen, aber beide hegen am Schluss dieselben Gefühle mit unterschiedlicher Bedeutung. Während Imelda die Untreue ihres Volkes beklagt, ist es bei Estrella die Verleugnung durch Imelda. Der Schmerz über den Verlust eint sie am Ende. FOCUS Online: Haben Sie versucht, die mittlerweile 80-jährige Imelda Marcos zu kontaktieren? Byrne: Freunde auf den Philippinen taten das für mich, als ich dort war. Aber Imelda lag in der Woche mit Grippe im Bett. Und ich konnte nicht länger bleiben. Das Treffen hatte mir eh etwas Sorgen bereitet, sie hätte ja meine ganze Arbeit zunichte machen können. Aber alle meinten, ich müsste sie kennenlernen, weil ihr Charme einen erst verstehen lässt, welche Wirkung sie auf Menschen hatte. FOCUS Online: Welche Frage hätten Sie ihr denn gestellt? Byrne: Sie soll gut darin sein, von unangenehmen Themen abzulenken. Ich hätte also nicht zu sehr gebohrt. Hätte ich sie gefragt, wo das ganze Geld abgeblieben ist, das sie und ihr Gatte vor dem Volk auf Schweizer Bankkonten in Sicherheit brachten, hätte sie es ohnehin nicht beantwortet oder Witze darüber gemacht. FOCUS Online: In dem der CD beigefügten Buch sagen Sie, das philippinische Volk hätte eine märchenhafte Figur wie Imelda dennoch gebraucht. Byrne: Sie wurde zwar berühmt durch ihre Verschwendungssucht und die 3000 Paar Schuhe, die man in ihrem Palast nach ihrer Vertreibung von den Philippinen fand, aber sie verschaffte den Filipinos dadurch erst den glamourösen Eintritt auf der politischen Weltbühne. Sie hat in der Tat Krankenhäuser und Schulen errichten lassen. Mir gefiel die Universalität der Geschichte. Menschen brauchen in Krisenzeiten glamouröse Celebritys, die das Leben leben, das sie selbst gerne führen würden; die sie idealisieren, aber auch runterputzen können. Das gilt heute wie damals. FOCUS Online: Imelda Marcos hat ihre Reisen zu Staatsmännern als „Handtaschen-Demokratie“ bezeichnet, für die sie ihren Frauencharme politisch einsetzte. Das würde heute wohl nicht mehr funktionieren. Byrne: Ich bin mir auch nicht sicher, ob das bei Imelda immer funktioniert hat. Aber zumindest behauptet sie das. Nachdem ihr Mann gesundheitlich angeschlagen war, fühlte sie sich in der Verantwortung, die Reisen zu übernehmen. Sie traf Weltherrscher, und wenn sie sie dazu bringen wollte, etwas im Interesse der Philippinnen zu tun, warf sie sich selber in die Waagschale. So pflegte sie überaus freundschaftliche Beziehungen zu Mao Zedong und Muammar al-Gaddafi. FOCUS Online: Sie haben Originalzitate von Imelda zu Songtexten verarbeitet. Ist Ihnen dabei eines besonders im Gedächtnis geblieben? Byrne: Auf die Spitze getrieben habe ich es im Song „The Whole Man“, wo fast jedes Wort von ihr stammt. Der Song beschreibt, wie sie politisch ihren Mann stand. Normalerweise hielt ich mich nicht zwingend an die Chronologie ihrer Zitate. In diesem Song musste ich es aber tun, um ihren Gedanken folgen zu können. Die Worte stammen aus einer Fernsehdokumentation, wo sie eine Rede hält und diese mit Zeichnungen auf einem Flipchart untermalt. Meine Lieblingsstelle ist die, wo sie mit dem Stift aus einem Kreis ein Achtel abtrennt und erklärt – so würde aus dem Kreis, der für die Gesellschaft steht, ein Pac-Man – eine bösartige Kreatur. Und ich dachte nur: Wie kommt sie denn plötzlich auf Pac-Man? Das ist meine Lieblingsstelle. FOCUS Online: Haben Sie die Gastsänger anhand ihrer Persönlichkeit oder Stimme besetzt? Byrne: Die Stimme und der Stil des Songs waren ausschlaggebend. Nehmen Sie zum Beispiel Florence Welch, deren Song den Auftakt des Albums bildet. Sie hat etwas Rührendes in der Stimme, sie singt sehr unkonventionell und hat geradezu einen alten Stil, der perfekt dazu passte, die Geschichte mit einem Rückblick auf den Weg zu bringen. FOCUS Online: Wie kam es zu der auf den ersten Blick ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit Norman Cook alias Fatboy Slim? Byrne: Ich mag Tanzmusik. Ich wollte eine emotionale Story, die man sonst eher im Theater findet, in den Clubkontext überführen. Und so schlug ich Fatboy Slim vor vielen Jahren die Zusammenarbeit für ein Musiktheaterstück vor. Ich denke, das hat gut funktioniert: Das Eröffnungsstück des Albums ist wie die erste Szene eines Films. Man kann sich gut vorstellen, dass diese in der Disco spielt. Imelda lässt ihr Leben Revue passieren und denkt über ihr Vermächtnis nach. Und man spürt die Emotionen und den Spaß, den sie beim Tanzen hatte. FOCUS Online: Sie selbst singen den Song „American Troglodyte“, der wohl als Kritik am amerikanischen Lifestyle zu verstehen ist. Byrne: So ist es gemeint. Das Stück soll das ambivalente Gefühl in Bezug auf die amerikanische Konsumkultur zum Ausdruck bringen, die die Philippinen für viele Dekaden dominierte. Ich habe allerdings ein wenig geschummelt, indem ich dafür Referenzen wie 50 Cent oder das Internet im Text angeführt habe. Das ist der Link zur modernen Welt. Aber vielleicht wäre es weniger irritierend gewesen, wenn ich es bei fetten Muscle Cars belassen hätte. FOCUS Online: Teilen Sie eigentlich Imelda Marcos´ Schuhtick? Byrne: Nicht wirklich. Ich habe vielleicht gerade mal zwei Dutzend Paar. Und die meisten davon sind Hausschuhe. |